Hohe Investitionen in Wohnheime (nötig) – kaum Unterstützung vom Land
28.03.2024
Geschäftsführer Sönke Nimz spricht ausführlich über den Sanierungsstau:
00:00 – Wasserschaden im Wohnheim APM
00:43 – Warum gibt es einen Sanierungsstau?
01:05 – Was hat das Studierendenwerk getan, damit die Studierenden gut wohnen können?
01:40 – Warum hat das Studierendenwerk nicht genug gespart, um die Wohnheime zu sanieren oder neue zu bauen?
03:39 – Warum ist mein Zimmer teurer als im BAföG-Satz berechnet?
05:27 – Beispiel Wohnheim APM
07:31 – Wir brauchen finanzielle Förderung!
Ende Juni regnete es in Braunschweig – es war aber kein gewöhnlicher Sommerregen, sondern ein sogenanntes Starkregen-Ereignis. Und das war so heftig, dass ganze Straßen überspült wurden und etliche Keller voll Wasser liefen. In unserem Wohnheim APM drückte sich das Wasser hingegen mit enormer Wucht durch die Fenster und lief an den Wänden runter. Die betroffenen Bewohner*innen waren geschockt. Und viele fragten sich: Wie kann das sein? Das Wohnheim wurde doch erst 2017 kernsaniert! „Hat da jemand am falschen Ende sparen wollen?“, lauteten hämische Kommentare in den Sozialen Netzwerken. Die Antwort lautet: Ja, aber nicht wir! Das Land Niedersachsen spart bei Sanierungsprojekten – das ist Sparen am falschen Ende! Zu diesem konkreten Fall kommen wir später wieder zurück. Vorab wollen wir erklären, warum es immer schwerer wird, günstige Mieten in modernen Wohnheimen anbieten zu können.
Wir haben viel investiert
Das Thema Sanierungsstau beschäftigt uns schon seit zwanzig Jahren, es wird aber immer dringlicher und die Konsequenzen deutlich spürbarer. Um unseren Wohnraumbestand zu erhalten haben wir seit 2004 177 Mio. € für die Instandhaltung und Sanierung sowie den Neubau von Wohnheimen investiert und dafür Darlehen in Höhe von 94 Mio. € aufgenommen. Für diese Darlehen haben wir in den genannten Jahren mehr als 28 Mio. € Zinsen gezahlt. Dem stehen im gleichen Zeitraum 5 Mio. € Fördermittel des Landes entgegen – ein deutliches Missverhältnis. Während 2004 noch 65 % der Restbuchwerte der Wohnheime – also der Summe, mit der die Wohnheime in der Bilanz stehen – mit Zuschüssen hinterlegt waren, sind es heute nur noch 16,6 %. Und diese Quote gilt nur für die Wohnheime, die sich im Eigentum des Studierendenwerks befinden, das heißt 90,9 % unserer insgesamt 4.554 Plätze. 415 Wohnheimplätze haben wir in den letzten Jahren, weil uns die Mittel für Neubauten fehlten, angemietet. Und für die haben wir von vorneherein keine Förderung erhalten.
Darum konnten wir keine Rücklagen bilden
Während es bis zum Ende der 90er-Jahre erhebliche Zuschüsse für die Schaffung und Erhaltung studentischen Wohnraums gab, haben der Bund und das Land Niedersachsen diese ab 2003 fast vollständig gestrichen. Seitdem liegen diese Kosten bei den Studierendenwerken und damit bei den Studierenden. Bund und Land zogen sich aus der Verantwortung zurück, obwohl sie aktiv dazu beigetragen hatten, dass die Studierendenwerke nicht ausreichend Rücklagen für große Sanierungen bilden konnten. Denn mit den bis zur Jahrtausendwende gewährten z. T. durchaus üppigen Zuschüssen waren strenge Auflagen verbunden. Ziel der Auflagen war es, die Mieten in den Wohnheimen niedrig zu halten. Deshalb wurde es den Studierendenwerken untersagt, Abschreibungen auf den Zuschussanteil einzukalkulieren. Normalerweise soll die Abschreibung den Substanzverlust des Wohnheims periodisiert darstellen, d. h. auf die gewöhnliche Nutzungsdauer verteilen. Wenn das Wohnheim vollständig abgeschrieben ist, müssten ausreichend liquide Mittel erwirtschaftet worden sein, um die dann notwendige Grund- oder Kernsanierung durchzuführen – jedenfalls wenn die Preise konstant geblieben sind. Auf diese Weise wird im Normalfall sichergestellt, dass das Wohnheim dem Studierendenwerk und damit den Studierenden dauerhaft zur Verfügung steht.
Einkalkulierte Unterstützung des Landes fiel plötzlich weg
Wenn also auf einen großen Teil der Investitionssummen gar keine Abschreibungen gebildet werden dürfen, wird auch kein Geld für eine spätere Sanierung erwirtschaftet. Das wäre kein Problem, wenn das Land später die nicht erwirtschafteten Abschreibungen und damit unzureichend dotierten Rücklagen wie ursprünglich geplant ausgeglichen und sich an den Sanierungskosten beteiligt hätte. So wurde es bis 2003 praktiziert. Diese Konstruktion ist mit dem Ausstieg des Landes aus der Sanierungsfinanzierung schlagartig zusammengebrochen. Dabei waren die fehlenden Abschreibungen auf den Zuschussanteil nicht das einzige Problem. Zusätzlich wurde die Nutzungsdauer – ebenfalls nach dem Willen des Landes – mit 50 bis 80 Jahren viel zu lang angesetzt, was die Abschreibungen und damit die Mieten weiter reduzierte. Die Wohnheime aus den 70er- und 80er-Jahren bedurften aber bereits nach 40 Jahren einer Kernsanierung, dann auch noch zu einem höheren Preis als zu Beginn geplant, weil sich inzwischen auch die gesetzlichen Anforderungen, z. B. im Brandschutz, deutlich erhöht haben. Alles zusammen führte dazu, dass wir nach den genannten 40 Jahren Nutzungsdauer nur ein Bruchteil der erforderlichen Mittel über die Mieteinnahmen erwirtschaften konnten.
Zurück zum Wohnheim APM
Das Wohnheim APM in Braunschweig wurde bis 1976 für rund 13,6 Mio. € gebaut. Die Förderquote betrug damals 88,4 %. Das bedeutet, dass nur für den Anteil von 11,6 % - ca. 1,6 Mio. € - in der Miete Abschreibungen veranschlagt werden durften. Als Abschreibungsdauer wurden damals 50 Jahre festgelegt. Die Kernsanierung wurde aber schon 2014, nach 38 Jahren Nutzung, notwendig. Bis dahin standen aus den Nettoabschreibungen 1,2 Mio. € für die Sanierung zur Verfügung. Alleine die Kosten für die Kernsanierung ohne Fassade – damals wurde der Zustand für noch ausreichend gut befunden – betrugen jedoch zu diesem Zeitpunkt rund 38 Mio. €.
Der Landesrechnungshof fand zur Problematik schon 2013 deutliche Worte:
„Die [durch den Sanierungsstau bei den vielen älteren Wohnheimen] entstehenden jährlichen Kosten […] dürfte [das Studentenwerk] ohne Hilfe des Landes kaum finanzieren können. Letztlich ist das Land für diesen Sanierungsstau mitverantwortlich, da es ursprünglich zugesagt hatte, erforderliche Erneuerungsmaßnahmen mitzufinanzieren, was in den ersten Jahren nach der bezuschussten Errichtung der alten Wohnheime eine ausreichende Kalkulation der Mieten verhinderte.“
Um unseren Wohnraumbestand zu erhalten, mussten wir spätestens seit 2004 notwendige Sanierungen selbst finanzieren. Weil zudem die Studierendenzahlen in dieser Zeit weiter anstiegen, mussten wir auch neue Wohnheime bauen und zusätzlichen Wohnraum anmieten. Sanierung und Neubau haben wir in fast allen Fällen ohne Zuschüsse bewältigt. Trotz fehlender öffentlicher Unterstützung haben wir es so geschafft, in den letzten 20 Jahren 976 Plätze in neuen Wohnheimen zu schaffen und 2.218 Plätze von Grund auf zu sanieren. Wir konnten allerdings nicht alle alten Wohnheime modernisieren: 12 von ihnen mussten wir aufgeben, dadurch gingen insgesamt 696 Plätze verloren.
Ohne Förderung keine günstige Mieten
Die fehlende Förderung führt zu einem weiteren Problem. Denn ohne diese ist es auch kaum mehr möglich, die Mieten so niedrig zu halten, wie es unserem Auftrag als Studierendenwerk entspricht. Wir orientieren uns bei der Kalkulation unserer Mieten seit langem an der „Zweiten Berechnungsverordnung für den sozialen Wohnungsbau“. Diese lässt sich aber nur bei gefördertem Wohnraum sinnvoll anwenden. In der Verordnung werden Pauschalen vorgegeben, die alle drei Jahre an die Preisentwicklung angepasst werden. Die auf dieser Grundlage ermittelte Miete ist eine Kostenmiete, soll also die anfallenden Kosten abdecken. Diese Kalkulation geht nicht mehr auf, wenn der Förderanteil zu gering wird. Um die günstigen Mieten zu halten, haben wir daher in der Vergangenheit bereits einen Teil der Kosten der Wohnheime aus anderen Quellen finanziert, d. h. vor allem mit den Semesterbeiträgen der Studierenden. Die Studierendenwerke in Göttingen und Hannover sind in einer ähnlichen Situation. Kein Wunder, dass das Studierendenwerk OstNiedersachsen und diese beiden zu den zehn Studierendenwerken in Deutschland mit dem höchsten Semesterbeitrag gehören.
Es geht um mehr als nur günstigen Wohnraum
2023 keimte kurz Hoffnung auf, dass die Studierendenwerke in Niedersachsen Mittel aus dem Förderprogramm des Bundes „Junges Wohnen“ erhalten könnten. Die Umsetzung dieses Förderprogrammes liegt in den Ländern und in Niedersachsen zeichnet sich ab, dass die Studierendenwerke so, wie die Förderrichtlinien formuliert werden sollen, wohl nicht profitieren werden. Das konnten auch unsere intensive Lobbyarbeit und die darauf folgende Intervention mehrerer Politiker*innen der Regierungsfraktionen nicht verhindern.
Bayern hat von 2005 bis 2023 insgesamt 438,6 Mio. € für die Studentenwohnraumförderung zur Verfügung gestellt, das Land Niedersachsen im gleichen Zeitraum 11,5 Mio. €. Das sind weniger als 3 % der bayerischen Summe. Der durchschnittliche Semesterbeitrag in Niedersachsen beträgt auch deshalb 105 € im Vergleich zu rund 73 € in Bayern – ganz sicher kein Argument für ein Studium in Niedersachsen.
Die Landesregierung muss endlich erkennen, dass günstiger Wohnraum für Studierende und niedrige Semesterbeiträge wesentliche Standortargumente im Kampf um die hochqualifizierten Köpfe von morgen sind. Alleine schaffen wir, die Studierendenwerke, das nicht.
Update vom 19. April 2024:
Vom Sanierungsstau sind auch die Universitäten in Niedersachsen enorm betroffen. Artikel der Braunschweiger Zeitung vom 19. April 2024 (hinter Bezahlschranke)